Frage dich nie, ob du wirklich lebst, sondern lebe ohne einen Zweifel.
Diese einfache Tatsache, ruft dennoch bei einigen, wie zum Beispiel mir, den ein oder anderen zweiten Gedanken hervor. Es ist zwar klar, dass man "leben" unter vielen Aspekten betrachten kann, aber das Leben bei den Eiern gepackt wirft immer wieder Fragen auf:
- ob man vielleicht nur träumt, weil es einem gerade sehr gut geht, der Job läuft, die Freundin/der Freund sind die Welle, auf der man sogar in den Weltuntergang reitet und die Familie ist fürsorglich, hält immer zusammen
- ob man vielleicht nur albträumt, weil man Tripper hat, gerade gefeuert wurde, die Freundin/der Freund einen gerade verlassen hat oder zumindest gezeigt hat, dass die Interessen bei ihm/ihr bei jemanden anders liegen und die Familie ist quer über mehrere Kontinente verstreut, auch wenn sie nur 2 Straßen voneinander entfernt wohnen, weil jeder jedem wohl etwas Böses will
Es gibt aber noch den Mittelweg an Fragen, welche nicht eine direkte Mischung aus dem absoluten Guten und dem ultimativen Bösen sind:
- ob man vielleicht im Koma liegt, weil man sich jeden Tag in einem Cocktail aus mir geht es gut und mir geht es scheiße befindet, man arbeitslos (inklusive einer kleinen Maggi-Brühwürfel-Prise Ideen- und Perspektivlosigkeit), partnerlos und vielleicht sogar familienlos ist oder die Familie zumindest losgelassen von jeglicher annähernder Normalität
Bis auf das Detail mit der Familie, laufe ich wohl genau auf diesem Mittelweg, nicht erst seit gestern. Schon immer habe ich mich gefragt, was das Leben wohl bedeutet. Als kleines Kind drückt man das anfangs noch in eine Windel aus, was man später in seinem Kopf versucht zu behalten und zu verarbeiten: "Was werde ich, wenn ich mal groß bin?" Es ist eine einfache Frage und ist dennoch einer der ersten Zweifel daran, ob man denn wirklich lebt. Wenn man wirklich leben würde, wüsste man doch eigentlich schon, was man werden will und müsste nicht in der vierten Klasse ein Plakat zum Thema "mein Traumberuf" basteln, um letztlich eine beinahe leeres Blatt abzugeben mit ein paar aus dem Internet kopierten Sätzen. Die dazugehörige Benotung (3-) war eine Einzigartigkeit in meiner Klassenstufe. Das hatte vielleicht auch den Hintergrund, dass bei anderen die Familie fleißig mitgebastelt und dekoriert hat, man selbst aber als jüngstes von vier Kindern eher nur damit abgetan wird, dass man doch große Geschwister hat, die einem helfen können. Die Tatsache, dass niemand von ihnen Architekt werden wollte und überhaupt die Zeit hatte, sich mir zu widmen, wobei das wohl auch auf meine Eltern zutraf, war kein Grund für die Lehrerin, mir eine bessere Benotung zu geben, immerhin kann sie auch nicht gedankenlesen, geschweige denn schlussfolgern, dass da jemand das ein oder andere Problem hat. Die Dame war aber sowieso überfordert, immerhin war sie gerade einmal ein halbes Jahr an unserer Schule und hatte direkt eine vorrebellische vierte Klasse an den Hals bekommen, in der es sogar Mobbing und Gruppenbildung gab, auch wenn es etwas anders aussah als heute, wir hatten noch kein Geld für Jagdmesser, Schusswaffen, Drogen und Gangsta-HipHop, noch nicht einmal für nicht Second Hand Klamotten.
Neben dem Traumberuf beschäftigte mich schon damals meine Zukunft, abgesehen von der beruflichen Richtung. Die junge Liebe war es oder zumindest das, was sich ein Viertklässler darunter vorstellt. Man merke: den Stinkefinger gezeigt bekommen und sagen "Das heißt, fick mich." ist KEIN guter Anmachspruch und manche Eltern werden sich jetzt an den Kopf greifen und sagen "Der Bengel, der hier schreibt, ist bestimmt erst 15, damals war es noch nicht so schlimm." Doch liebe Eltern, in den Neunzigern gehörte "ficken" und "V-/Fotze" zum allgemeinen Sprachgebrauch einen männlichen Grundschülers, obwohl niemand so wirklich wusste, was solche Sachen bedeuten und man es nur, dank der professionellen Aufklärung im Sachkundeunterricht, erahnen konnte.
Aber so war meine zweite kleine große Liebe damit verflossen, auch wenn ich noch die fünfte Klasse versuchte, sie für mich zu gewinnen. Meine erste kleine große Liebe hatte ich in der ersten Klasse, genannt Heike, also die Liebe, das Mädel. Aber dazu ein andermal.
Um nun wieder etwas in die Zukunft zu gehen: Der Zweifel am Leben nagte ununterbrochen an meinem Verstand. Während der 11. September an mir vorbeiwanderte, indem ich als Außenseiter in der Schule meine Rolle erfüllte (in der Pause meist allein rumstehen, ab und zu einen Schlag in die Magengrube, von Mitschülern im Sportunterricht die Schuhe aus dem Fenster geworfen bekommen), entdeckte ich den jugendlichen Suizid für mich. Diese besondere Hassliebe, wie sie für manchen einen so unergründlich bleibt, war wohl etwas, dass mein Leben geprägt hat. Ich muss an dieser Stelle sagen, dass ich mich nie gewagt habe, sie anzusprechen (und bevor jetzt verwirrte Gesichter dreinschauen: ich meine wirklich den Selbstmord und nicht eine hoffnungslose Liebe, die mir das Herz gebrochen hat). Ich stand nicht nur einmal, aber kein dutzendmal im Fenster meines Zimmers und blickte von oben, vielleicht der 2. Stock, in die nicht allzutiefe Tiefe. Es war aber genau so ein Moment, der klar macht, dass man über das Leben, die eigenen Handlungen und den Sinn in allem doch länger und intensiver nachdenken musste, als es auf den ersten Blick vorkam. Wie bereits erwähnt, bin ich nie gesprungen, noch habe ich mir in irgendeiner Weise selbst Schaden zugefügt, abgesehen von den Beulen der Dummheit, die einem bei der Missachtung der Worte "Bitte ducken!", auf ewig im Kopf bleiben. Aber die Tatsache, dass ich überhaupt auf den Gedanken kam, mir das Leben in einem schnellen Moment aus dem Körper zu jagen, lässt einen doch daran zweifeln, ob es überhaupt etwas zum hinausjagen gibt. Man muss doch etwas falsch gemacht haben, wenn man über soetwas nachdenkt, es muss einen Fehler im System geben.
Da wir einen Sprung nach vorn gemacht haben, machen wir noch einmal einen Sprung zurück, aber keinen großen. Ein Jahr vor Beginn des jugendlichen Suizids hatte ich den Film "Matrix" gesehen, frisch auf VHS kopiert. Damals hatte ich den Film noch nicht derart verinnerlicht, aber dennoch einige kleine Gedanken davon aufgefasst: Alles was einem jetzt real vorkommt, muss nicht real sein. Dieser Fakt bedeutet aber nicht, dass man nicht das Beste aus der Situation machen kann. Immerhin ist alles solange real, wie man daran glaubt, dass es nicht unecht ist. Man könnte es mit einem Spiegelbild vergleichen. Man starrt täglich hinein in diesen Spiegel und sieht sich selbst und stylt sich entsprechend so, wie einem das Spiegelbild am Ende gefällt. Das ist eine Realität. Aber wenn wir uns nicht spiegelverkehrt betrachten, auf Fotos oder auf Filmen, dann merken wir, dass wir eine Fremde Person sehen, so sehen wir doch nicht aus. Der Spiegel, der uns ständig unser selbst zeigt, hat uns belogen und zwar mit einer verdrehten Wahrheit. Ähnlich ist es mit den Aufnahmen unserer Stimmen, wobei dies wohl noch drastischer ist, in unserer Zeit, in der wir mehr Fotos schießen, als Memos an uns selbst aufnehmen. Viele erkennen ihre Stimmen auf Aufnahmen nicht, meistens ist einem die Stimme peinlich, aber sie ist nicht anders, als sie immer war und für die Menschen um uns herum, ändern diese Aufnahmen nichts an der Realität, die sie von uns sehen.
Ich würde an dieser Stelle weiterschreiben, aber dieser Blogeintrag ist schon länger als er eigentlich gedacht war lang zu sein. Morgen gibt es eine Fortsetzung.
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